Das sind nur Brötchen

 Das sind nur Brötchen

(Autobiographischer Text)

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Ein Mal um den Kreisel und Richtung Penny Mark abbiegen, reine Freude! Ich glaube, psychologisch gesehen, fängt dort an diesem Kreisel mein Wohnrevier an.  Sozusagen an der Futterquelle. Ein Gefühl, bald zu Hause zu sein, oder besser gesagt in der „Vorratskammer“ des Hauses.  Der Arbeitstag war lang und ermüdend.  Ich streckte mich wie ein Tier aus und schüttelte den Stress auf dem Parkplatz aus mir  heraus, wie ich es bei meinen Hunden gelernt hatte.

Ich ging rein. Neben den rationalen Gedanken, die in erster Linie die Wahl der richtigen Katzennahrung betrafen, empfand ich plötzlich eine in mir aufkeimende  Unruhe, eher ein Gefühl der Anspannung:  „Es hängt was in der Luft“. Ich bemerkte auch sofort die heutigen „Kandidaten“. Es waren, wie schon oft,  Kinder. Diesmal waren es zwei, anscheinend Geschwister. Ich fixierte sie an, um sich zu vergewissern, ob es sich wirklich um sie handele und schaute mich vorsichtshalber in dem kleinen Laden nach anderen Menschen um. Nein, es waren bestimmt diese Kinder, auf welche meine Empfangsantenne sofort regierte.  Das Mädchen, vielleicht fünfjährig, hob die Augen und schaute mich leicht verwundert an. Sie schien bereits einen direkten Kontakt mit mir aufgenommen zu haben. Nun wusste ich auch, dass sie es war, auf die ich „einwirken“, aufpassen soll. Ich wusste noch nicht, was passieren wird, hatte aber das Gefühl, dass sich die Kinder, solange sie in dem Laden ihren Einkäufen nachgingen,  in der Sicherheit befanden.

Ich erledigte meine Einkäufe. Wie immer bestand die Ladenklientel aus  wenigen, ruhigen Menschen, die in Gedanken versunken die ausgewählte Ware in den Einkaufswagen legten.

Die Kinder dagegen rannten fröhlich durch den Laden. Der Junge, wenig älter als die Kleine, steuerte  den Einkaufswagen. Die Kleine, rothaarig, hoppelte hinter ihm her. Ab und zu kreuzten sich unsere Wege oder begegneten  unsere Blicke. Ich war bereits fertig und schob den Einkaufswagen zum Auto, als eine heftigere Welle der  Kraft mich durchzog. Kinder!  Gefahr!

Ich erblickte gerade noch, dass die beiden  Fahrräder neben sich schiebend bereits auf die Strasse zugingen. Ich ließ meinen Einkaufswagen neben dem geöffneten Auto stehen und rannte hinterher. Etwa dreißig Meter von den beiden entfernt sah ich, dass der Junge bereits auf dem kürzeren Weg, ohne auf die Schwester zu achten die verkehrsträchtige Strasse überquerte. Seine Schwester stand auf dem Bürgersteig. Sie traute sich nicht auf dieser Stelle die Strasse zu passieren. Nur wenige Meter weiter entfernt gab es auch eine Passanteninsel. Sie schielte rüber.

In dem Moment passierte es auch. Beim Versuch das Fahrrad über die Bordkante zu hieven, rutschte dem Jungen die Einkaufstasche vom Gepäckträger herunter. Mehrere Brötchen fielen heraus und rollten über die Strasse. Ich sah, wie das Mädchen mit einer automatischen Bewegung eigenes Fahrrad zur Seite warf und  ohne auf die Autos zu achten im Begriff war sich  auf die Strasse zu stürzen. Sie wollte die Brötchen  retten!!!

„Halt! Stehen bleiben!“- donnerte meine Stimme ähnlich einer Feuerwehr Trompete und brachte  nicht nur das arme Kind, sondern auch mehrere zufällige  Passanten  zum Stehen.

Mit einem Bein auf der Strasse erstarrte die Kleine. Die Autos fuhren rasant an ihr vorbei. Sie kam zu sich, rappelte sich wieder zurück und hob ihr Fahrrad hoch.

Ich ging zu ihr und hockte sich nieder. Sie war völlig verstört.

„Das sind nur Brötchen!“, sagte ich freundlich aber bestimmend. „Und du hast nur ein Leben!“

Geduldig erklärte ich ihr drei Mal (und mit praktischer Anschauung) wie man über die Straße geht und ließ sie das Gelernte wiederholen. Danach marschierte sie (unter meiner Aufsicht) samt Fahrrad auf die Passanteninsel zu, erreichte heile die andere Straßenseite und holte den Bruder ein. Ich dürfte wieder zu meinem verlassenen Einkaufswagen zurück. Der Adrenalinpegel ging runter. Ich holte noch ein Mal tief die Luft und begann die Lebensmittel  im Auto zu verstauen.

Es war Feierabend. Endlich! Ein herrliches Gefühl, wenn da nicht… (oh, waja, meine Katze!…die  wartet schon bestimmt vor dem Tor… ob sie  überhaupt dieses  Putenragout, oder wie das Zeug heißt  essen wird?)

Juna (2006)